Vielen Dank für die Blumen! Wer kritisiert den Islam?

Die Internet-Plattform Politically incorrect, auf der sich Rechtslibertäre ebenso wie deutschnationale und völkische Demagogen einträchtig zu Wort melden, lobt die Gruppe Ehrlos statt wehrlos. Von einem »islamkritischen Coming out« ist da die Rede. Mit »Islamkritik aus dem linken Milieu« hat man in einem dezidiert rechten offenbar nicht gerechnet. Wie es um die politischen Verhältnisse und um das Niveau der Kritik heute bestellt ist, erkennt man nicht zuletzt daran, dass Rechtsextreme, die sich selbst ausdrücklich als solche begreifen, das Recht auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam inzwischen so exklusiv in Anspruch nehmen, wie Linke es ihnen überlassen haben.

Dass man lechts und rinks, wie Ernst Jandl einst spottete, nicht velwechsern könne, gilt heute vielleicht weniger denn je. Gegenwärtig bezeichnet »rechts« ein Stigma eher als eine politische Einstellung: was manche wiederum ermutigt, sich das Etikett selbst anzuhängen, um »Linke« zu provozieren, die rechts von sich nur Nazis zu erkennen meinen und andere Bedrohungen nicht einmal zu benennen wagen. Wer mit Demokratie, Toleranz, Vielfalt etc. prahlt, könnte immerhin in Betracht ziehen, dass auch konservative und sogenannte gemäßigt rechte Ansichten einen legitimen Platz in der politischen Auseinandersetzung haben – in der man aber weder Rechtsextremisten noch Islamisten zu tolerieren hat.

Im Kampf ums deutsche Volkstum, das sich einerseits gegen die Herrschaft eines »internationalen Finanzkapitals«, andererseits gegen eine (man munkelt: ebenfalls von sinistren Mächten lancierte) Zerstörung des Volkes durch kulturelle Überfremdung zur Wehr setzen müsse, möchten wir uns jedenfalls kriegsverwendungsunfähig melden. Dies selbst für den merkwürdigen Fall, dass Leute, die ansonsten mit Problemen wie einer »Verschwulung« der Gesellschaft hadern, bei passender Gelegenheit einmal die Rechte von Homosexuellen und Frauen hervorkehren: Errungenschaften, die Staat und Volk hierzulande von »vaterlandslosen Gesellen«, »Schwuchteln« und »Emanzen« einst abgerungen werden mussten. 1

Was man rechterseits für ein »Coming out« hält, ereignete sich etwas weiter links in Wirklichkeit schon einige Jahre früher. Voltaires Tragödie Le fanatisme ou Mahomet le Prophète, zum Beispiel, wurde bereits im Jahr 1741 uraufgeführt. Da war die politische Unterscheidung zwischen links und rechts noch nicht einmal erfunden, und die in jenem Stück zum Ausdruck gebrachte Kritik des Islams mochte man ebenso als eine der Kirche verstehen, die in Frankreich wie fast überall in Europa damals in einem Maße über Recht und Gesetz bestimmte, wie es religiös begründete Institutionen heute noch in islamischen Ländern tun. (Was nicht bedeutet, dass es dort partout keine Toleranz gäbe: Wer etwa Juden als Affen und Schweine bezeichnet, muss nicht einmal damit rechnen, als »judeophob« angesehen zu werden, so steht es schließlich in Sure 5, 64–69, geschrieben.)

In einem Artikel über »die orientalische Frage«, erschienen am 15. April 1854 in der New-York Daily Tribune, heißt es mit Bezug auf die Verhältnisse im damaligen Osmanischen Reich: »Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist harby, d.h. der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen.« In einem anderen Artikel, im selben Jahr an selber Stelle publiziert, wird über das Osmanische Reich gesagt, es sei »wie alle orientalischen Staaten auf die engste Verknüpfung, man kann fast sagen, Identität von Staat und Kirche, Politik und Religion gegründet. Der Koran ist für dieses Reich und seine Herrscher Quelle des Glaubens und des Rechts zugleich. Doch wie sollte es möglich sein, den Gläubigen und den Giaur, den Muselman und den Rajah vor dem Koran gleichzustellen? Um das zu tun, wäre es tatsächlich nötig, den Koran durch einen neuen Zivilkodex zu ersetzen«. Der Autor beider Texte ist übrigens Karl Marx, den politisch Korrekte ebenso wie Inkorrekte wohl für einen Linken halten – wenngleich man mittlerweile darauf gefasst sein muss, dass etliche Linke, die den Islam als eine kulturelle Bereicherung der ihnen ungleich mehr verhassten westlichen Welt schätzen gelernt haben, selbst Marx einen geistigen Kolonialherrn schimpfen, weil er sich anmaßte, Freiheit von Ausbeutung und Herrschaft auch denen in Aussicht zu stellen, die man heute als »Andere« in ihrem scheinbar unabänderlichen Anderssein hegen und pflegen möchte. An die Stelle von Emanzipation und Revolution ist eine postkoloniale Sozialfürsorge getreten, an die der Klassen kulturelle Naturschutzgebiete.

»Der Mohammedanismus könnte mich noch für den Himmel begeistern. Aber wenn ich mir den faden christlichen Himmel vorstelle! Da hat man einen Richard Wagner auf der Erde gehabt, und drüben hört man nichts als Halleluja und Palmwedeln, Kinder im Säuglingsalter und alte Menschen!« Dies soll Hitler in einem seiner ominösen Tischgespräche geäußert haben, im Dezember 1941 in seiner »Wolfsschanze«. Ein »Coming out«, von dem aber weder im rechten noch im linken Milieu gern viel Aufhebens gemacht wird. In jenem nicht, weil man dort inzwischen ein wunders wie jüdisch-christliches Abenland gegen eine Bedrohung aus dem Orient in Stellung bringt, und in diesem nicht, weil man sich selber längst für einen Himmel begeistert, in dem der Islam einen exquisiten Platz einimmt; anders als Christentum und Judentum sei er nämlich eine Religion der Ausgegrenzten und Unterdrückten, die darum höchsten Respekt, das heißt tiefste Unterwerfung verdiene.

Tatsächlich hat es der Islam über die letzten hundert Jahre vermocht, seine aus religiöser Tradition begründeten Ansprüche mit rechten ebenso wie linken Bewegungen zusammenzubringen. Traten noch die Muslimbrüder als Verbündete des europäischen Faschismus auf, empfehlen sich die polyglotten Kader islamistischer Organisationen heute lieber als »Ansprechpartner« linker Antiimperialisten und Globalisierungsgegner. Eine merkwürdige Ironie, dass nun nicht mehr der politische Islam, sondern vielmehr dessen Kritik als »rechts« denunziert wird. Ungeachtet der wechselnden politischen Allianzen aber kann man feststellen, dass die besten Argumente gegen Obskurantismus und religiös verbrämten Kollektivismus in der Tradition der Aufklärung und der Emanzipation des Individuums stehen. Damit allerdings will der Islam bis heute nichts zu tun haben.Seine autoritativen Vertreter unterschiedlicher Provenienz erklären sich zumindest darin einig, dass die von der westlichen Aufklärung proklamierte Freiheit und Gleichheit aller Menschen, die sie für Symptome der Dekadenz und des Unglaubens halten, unversöhnlich bekämpft werden müssten. Die Länder, in denen islamischer Glaube und islamisches Recht zusammenfallen, geben davon ein anschauliches Beispiel. Und im weitesten Sinn liberale oder säkulare Muslime bilden in der islamischen Welt eine um nichts zu beneidende Minderheit, meist eine verachtete, wenn nicht eine verfolgte. Was in Teheran, Mekka oder Kairo unverhohlen ausgesprochen – und von Linken und Liberalen dort unter größter Gefahr kritisiert – wird, erreicht jedoch die Linke im Westen nur durch ein von ihr selbst erfundenes Stille-Post-Verfahren. Sie versteht am liebsten Frieden, Vielfalt und leckeres Essen. Wer die Drohungen islamischer Prediger beim Wort nimmt, gilt ihr als »islamophob«.

Wer hierzulande »Islamkritik« hört, denkt sogleich an AfD und Pegida, an Deutschlandfahnen und Dumpfbacken, jedenfalls nicht an Voltaire oder Marx. Sogenannten Rechtspopulisten kommt es sehr gelegen, dass nun ausgerechnet sie, die gern auch Putins Russland zu ihrem Abendland zählen, sich einmal als entschlossenste Verteidiger sogenannter westlicher Werte empfehlen können. Was ihnen bisher sogar mit überwältigendem Erfolg gelingt, auch dank der fatalen Ignoranz der Linken. Wie ernst sie es meinen, wenn sie die Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz hochhalten, sobald es darum geht, die Erniedrigung der Frau oder die Exekution von Homosexuellen im Islam anzuprangern, mag man bezweifeln. Das Argument selbst bleibt allemal richtig. Denn der Islam ist eben nicht nur, wie Wohlmeinende mit Verweis auf Lessings Ringparabel scheinbar ganz sachkundig zu verstehen geben, eine Religion unter anderen (was ja schon ausreichte, ihn als solche zu kritisieren), sondern darüber hinaus eine politische Ideologie mit dem durchaus totalitären Anspruch, letztlich alle Menschen dem Gesetz der Scharia zu unterwerfen: ein Ziel, das die geistlichen und politischen Führer der maßgeblichen islamischen Richtungen keineswegs verheimlichen. Dies sprechen andererseits auch liberale und linke Kritiker des Islams, die dessen Herrschaft am eigenen Leib schon ertragen mussten oder noch müssen, im Gegensatz zu vielen Linken im Westen offen aus. Wenn ein seinerseits autoritärer Charakter deutscher Stammeszugehörigkeit einmal dasselbe sagt, mag man das zu Recht für fadenscheinig halten. Wenn aber einer die Wahrheit sagt, wird diese nicht darum schon zur Lüge, weil er selbst ein Heuchler oder ein Trottel ist. Die guten Argumente, die man dem Islam heute von rechter Seite entgegenhält, wurden schließlich von der aufklärerischen Kritik übernommen.

Mit Ideologiekritik hat, was völkische Populisten im Schilde führen, ansonsten wenig zu tun. Wie man der Rede von kultureller Überfremdung entnehmen kann, geht es nicht um Recht und Freiheit jedes Einzelnen und nicht einmal um das Grundgesetz (das Freunde des Deutschen Reichs für ein Produkt alliierter Fremdherrschaft halten), sondern um das Vorrecht des eigenen nationalen Kollektivs auf angestammtem Territorium, in das der Islam wie eine fremde Rasse eindringe. Mit dem ranschmeißerischen Kulturalismus linker »Antirassisten« teilt der Rassismus die Neigung, Muslime schlechthin als Muslime und nicht etwa als eigenwillige, potentiell vernünftige Individuen wahrzunehmen, die sich immerhin entscheiden könnten, ihren Glauben aufzugeben oder nur mehr als die Privatangelegenheit zu begreifen, als welche ihn die bürgerliche Gesellschaft anerkennt und sogar ausdrücklich schützt.

Wenn es heute selbst in Deutschland etwas zu verteidigen gibt, so gewiss nicht urtümlich deutsche Traditionen, sondern eine als westlich bezeichnete Zivilisation namentlich englischer, französischer und amerikanischer Herkunft, die sich hier nur gegen hartnäckigen Widerstand allmählich behaupten konnte. Zu verteidigen, und zwar gegen jede Art Stammeskultur sowie gegen jedweden Kollektivismus, wäre nichts weniger als die bürgerliche Gesellschaft (oder was von ihr noch übrig ist), die zumindest den Gedanken einer wirklich emanzipierten Gesellschaft, in der autonome Einzelne als Freie und Gleiche leben könnten, überhaupt zulässt. Freiheit hieße nicht zuletzt auch, die grausige Alternative von deutscher Volksgemeinschaft und islamischer Umma sich erst gar nicht bieten zu lassen.

Kritik hat im Deutschen seit jeher einen schlechten Ruf. Wer die Zuneigung des Volkes gewinnen wollte, tat stets gut daran, sich ihm nicht als »Kritikaster« (Goebbels) vorzustellen. In Deutschland beliebte Kritik ist eben nicht die der praktischen Vernunft oder der politischen Ökonomie, sondern »Israelkritik«. Um die allerdings wetteifern ansonsten ganz unterschiedliche Leute aus allen politischen Richtungen mit anscheinend unversiegbarer Leidenschaft; zumindest in dieser Frage gehört auch der Islam ganz offensichtlich zu Deutschland. Kritik ist dabei nur ein sublimierter Ausdruck von Hass. Bei jener »Islamkritik« hingegen, in der sich auffällig viele Landsleute üben, denen Kritik ansonsten soviel wie Vaterlandsverrat bedeutet, handelt es sich, wie Gerhard Scheit aufklärt, zugleich um einen Ausdruck von Neid:

»Beneidet wird, dass der Islam verwirklicht, wozu man selbst nicht imstande ist oder woran man relativ erfolgreich gehindert wird; dass diese Religion gemeinschaftsbildend im politischen Sinn ist; dass der gläubige Muslim seinen Status als Überflüssiger auf dem Arbeitsmarkt nicht nur so gut erträgt, sondern daraus Stolz und Würde, und, in Gestalt des jihadistischen Kollektivs, Kampfgeist gegen einen Feind gewinnt, den man als Hirngespinst mit den Jihadisten durchaus gemeinsam hat, nämlich die isoliert betrachtete, abstrakte Seite des Kapitals, in dieser oder anderer Form auf die Juden projiziert, die alle Gemeinschaften zersetzten. So ist aber der als Hass hervortretende Neid auf den Islam letztlich nur von dessen eigenem antisemitischen Potential aus zu verstehen. Die Muslime stellen für den Antisemiten des Abendlands nämlich eine einzige große narzisstische Kränkung dar, wie sie keine andere der von ihm sonst noch verachteten und physisch bedrohten Gruppen von Immigranten bereithält.«(Wider den Begriff der Islamophobie, Jungle World,  Nr. 32/2011)

  1. Wiewohl es selbstverständlich auch auf der politischen Rechten Autoren gibt, die, mögen sie selbst unmittelbar davon betroffen sein oder nicht, die islamische Feindschaft gegen Homosexuelle durchaus ernst nehmen und ihre Kritik daran ebenso aufrichtig ernst meinen, sie keineswegs bloß zu anderen Zwecken vorschützen.
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