„Die sogenannte Clankriminalität“

2017 wechselte die Politikerin Marina Reichenbach von der Linken zur SPD. Ihrer ehemaligen Fraktion warf sie vor, eine „Querfrontpolitik“ zu betreiben. Vor allem die Zusammenarbeit der Linken mit islamistischen oder nationalistischen Gruppen wie Milli Görus, Ditib, Hamas-nahen Personen oder der Neuköllner Begegnungsstätte bewegte sie dazu, der Partei den Rücken zu kehren. Kritik an der Zusammenarbeit mit solchen Organisationen werde reflexhaft als „antimuslimischer Rassismus“ abgetan. Ihre Forderung nach einer Auseinandersetzung mit deren Antisemitismus wehrte man sogleich  mit dem Hinweis auf eine mächtige „Zionismuslobby“ ab.

Ihr Parteikollege Thomas Licher distanzierte sich damals von Reichenbach und nannte ihre Kritik „inhaltlich falsch“. Nur zwei Jahre später verließ auch er selbst den Bezirksverband Neukölln. Seine Anschuldigungen klingen wie ein Echo der Vorwürfe seiner ehemaligen Parteikollegin.

Bis zum 30. Juni dieses Jahres war Licher Vorsitzender der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung. Als er aus dem Bezirksverband austrat, warf er dem Vorstand vor, dass dieser sich mit arabischen Großfamilien solidarisiere und polizeiliche Ermittlungen stets nur als Beleg eines „antimuslimischen Rassismus“ betrachte. Ahmed Abed, Rechtsanwalt und Politiker der Linken in Neukölln, sieht in den Razzien gar die gesamte Sonnenallee und die Hermannstraße „in Mitleidenschaft gezogen“ und „stigmatisiert“. In einem Interview mit der taz behauptet er, von Clan-Kriminalität nichts zu wissen; auch Geschäftsleute hätten diesbezüglich keinerlei schlechte Erfahrungen gemacht. Ganz im Gegensatz zu vielfach diskriminierten Kopftuchträgerinnen. Dies führe dazu, dass „das Misstrauen gegen den Staat“ wachse.

Während Serien wie 4 Blocks und Dogs of Berlin die Protagonisten des arabischen und türkischen Clanmilieus aus dramaturgischen Gründen zu Antihelden stilisieren, betrachten Linke sie vornehmlich als Opfer eines „antimuslimischen Rassismus“: ein Schlagwort, das man inzwischen ebenso häufig zu hören bekommt wie den nicht minder dubiosen Vorwurf der „Islamophobie“. Endlich wird auch Muslimen die fragwürdige Ehre zuteil, sich als Angehörige einer eigenen Rasse betrachten lassen zu dürfen.

Für den 1. Oktober laden Die Linke Neukölln und M.A.H.D.I. e.V. (auf dessen Facebook-Seite man übrigens Männer und Frauen räumlich getrennt vorfindet, letztere sämtlich verschleiert) in den Festsaal Refugio ein, um über „Stigma, Show, Schikane: Neukölln und die Clan-Debatte“ zu diskutieren. Schon der Titel macht hinlänglich deutlich, was man  zu erwarten hat. Wer von kriminellen Clans auch nur spricht, wird als Hetzer verunglimpft. Von den – übrigens vor allem arabischen – Opfern der in diesem Milieu organisierten Kriminalität gilt es, tunlichst zu schweigen. Sowie auch davon, dass die Clanmitglieder ihrerseits rabiat chauvinistisch und rassistisch auftreten. Dass viele von ihnen zudem mit antisemitischen Terrorgruppen wie der libanesischen Hisbollah vernetzt sind, dürfte die meisten Linken nicht einmal stören.

Die Behauptung, dass „Parallelgesellschaften“ sich erst infolge einer Diskriminierung seitens der sogenannten Mehrheitsgesellschaft gebildet hätten, sagt allenfalls die halbe Wahrheit. Auch in mehrheitlich muslimischen Gesellschaften ist der Clan, die Urform des Patriarchats, noch heute die bestimmende Instanz jedweder Sozialisation. Und sie entspricht von ferne jenen Rackets, die sich im frühen 20. Jahrhundert in den USA formierten: zumeist ethnisch gruppierte kriminelle Vereinigungen, die ein höchst profitables Geschäft (u.a. mit Drogen, Waffen und, nicht zuletzt, mit Menschen) betreiben, jedoch ohne die dabei störenden Rechtsgrundsätze der bürgerlichen Gesellschaft. Ein Individuum, das sich als solches erst von Ausbeutung, Herrschaft und Bevormundung emanzipieren könnte, kommt in den scheinbar naturwüchsigen Sippenverbänden und Banden, den virtuellen Dorfgemeinschaften inmitten der Großstadt, gar nicht vor; und wenn unverhofft doch, so muss es damit rechnen, von besorgten Brüdern und Vettern gezüchtigt oder getötet zu werden. Eine bittere Ironie, dass Linke, die der bürgerlichen Gesellschaft mit schon einiger Routine deren Verlogenheit vorwerfen, nun ihre Sympathie für die „Bluturenge“ (Marx) eines repressiven, gegen selbst die moderateste Emanzipation gewappneten Kollektivs bekunden. Die logischen Folgen einer falschen Toleranz gegenüber gewalttätigen Parallelgesellschaften ließen sich etwa letztes Jahr beobachten, als der Berufsverbrecher Nidal R. am hellichten Tag am Tempelhofer Feld exekutiert wurde. Oder auch in Charlottenburg, als vor wenigen Tagen ein Streit zwischen zwei Gruppen zu einer Schießerei eskalierte.

Nicht zuletzt: die Blutspur, die islamistische Terroristen in den letzten Jahren in Europa hinterließen, führt auch ins Milieu der Clans. Der Terrorismusexperte Peter Neumann beobachtet etwa ein Verschmelzen von kriminellen Gangs und djihadistischen Gruppen. 2017 hatten etwa 66 % aller aus Deutschland nach Syrien oder in den Irak ausgewanderter Djihadisten eine kriminelle Vergangenheit. Auch der tunesische Djihadist Anis Amri, der Massenmörder des Berliner Breitscheidplatzes, verkehrte sowohl in salafistischen als auch in Kreisen krimineller arabischer Großfamilien. 

Berlin gilt neben dem Ruhrgebiet als eine Hochburg der Clans, denen laut BKA bundesweit etwa 200.000 Menschen angehören. Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban, Autor des Buches Arabische Clans – Die unterschätzte Gefahr, lebt nach Todesdrohungen aus dem Milieu unter permanentem Polizeischutz. Wer wie er den Machenschaften der kriminellen Großfamilien nachspürt, muss mit weitaus Furchtbarerem rechnen als dem törichten Vorwurf des „Rassismus“, den Neuköllner Heimatschutzverbände jedem entgegenraunen, der an ihrem als multikulturell missverstandenen Kiez etwas auszusetzen findet, zum Beispiel: dass dort kein Jude und kein schwules Paar sich auf der Straße gefahrlos zu erkennen geben können.